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Was macht einen wirklich gelungenen Theaterabend aus? Ein Drama, eine Tragödie? Oder eher eine Farce, ein Boulevardstück vielleicht? Darüber wird im Essener Aalto-Theater gleich zu Anfang gestritten. Und am Ende kommt jeder auf seine Kosten!
26.11.2015 - Von Christoph Schulte im Walde
Denn in seiner Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“ nimmt Sergej Prokofjew Elemente all dieser Gattungen auf. Nicht zu ernsthaft natürlich, immer mit einem Spritzer Ironie, einem Quentchen Parodie und einem großen Teil Humor. So ist das Märchen vom hypochondrischen Prinzen, der von einer Hexe zur Liebe zu drei Orangen verflucht wird, eine einzige unglaublich kurzweilige Geschichte. Und das auch, weil schon der Komponist wusste, dass gegen Depressionen Südfrüchte die beste Medizin sind. Deshalb ist es eine Orange, der die für den Prinzen passende Gemahlin entspringt. Geschält wird die Frucht nun auch im Opernhaus an der Ruhr.
Jeder Skatspieler weiß, dass „Treff“ eine Spielkartenfarbe ist – und weil Prokofjews König so heißt, haben Regisseur Laurent Pelly und Bühnenbildnerin Chantal Thomas alles ganz auf „Kreuz“ getrimmt. Schwarz-weiße Kostüme, Spielkartenvorder- und rückseiten beherrschen das Bild. Überdimensionale Kartenschachteln liefern das Bett des scheinbar kranken Prinzen, der Ofen der bösen Köchin ist daraus gefertigt und selbst auf dem Plastikthron erscheint das Kartensymbol.
In diesem fantastischen Ambiente erzählt Laurent Pelly Prokofjews Geschichte sehr stringent und temporeich. In Zusammenarbeit mit seiner Choreografin Laura Scozzi entwickelt er viel Gespür für schöne Bilder – gerade in den von Prokofjew balletthaft angelegten Szenen. Das macht beim Zuschauen einfach ganz viel Spaß.
Den gibt es auch beim Hören. Im sehr personalintensiven Stück lassen die Herren mit den tiefen Stimmen aufhorchen: Bart Driessen – stimmlich wie szenisch absolut präsent – ist als unglücklich agierender Zauberer Tschelio wieselflink, punktet vor allem bei seinem großen Solo zu Beginn des 3. Aktes, wo er den Teufel Farfarello beschwört. Wenn Baurzhan Anderzhanov das erste Mal als fiese und eitle Köchin im Schloss der Kreonta seine Stimme erschallen lässt und dabei die monströse Suppenkelle schwingt, ist das Publikum gleichermaßen verdutzt wie verstört ob seiner/ihrer profunden Tiefe. Und – primus inter pares – Tijl Faveyts als expressiv agierender König Treff gibt seine Rolle würde- und sorgenvoll zugleich.
Da kann Alexey Sayapin als rotblonder und schauspielerisch exquisiter Prinz nicht immer ganz an tenoraler Kraft und Intensität mithalten, während Albrecht Kludszuweit als Truffaldino durchweg große stimmliche Kondition beweist und zudem ein wahres Feuerwerk an Spaß abbrennt. Bei den Damen wissen vor allem Telya Kasahara als böse Fata Morgana und besonders Christina Clark mit scheinbar ewig junger Stimme als Prinzessin Ninetta zu überzeugen.
Yannis Pouspourikas, Erster Kapellmeister der Essener Philharmoniker, transportiert Prokofjews so facetten- wie anspielungsreiche Partitur perfekt in den Zuschauerraum, trägt die Sängerinnen und Sänger auf Händen, nutzt aber auch die orchestralen Intermezzi, um den Klang mal ordentlich „aufzudrehen“ – großer Applaus!
Ende gut, alles gut? Vielleicht nicht ganz. Denn was die Essener Theatermacher ihrem Publikum kredenzen, ist die Übernahme einer bereits zehn Jahre alten und inzwischen auch auf DVD und Blu-Ray-Disc verfügbaren Inszenierung, die Laurent Pelly für De Nederlandse Opera in Amsterdam geschaffen hat. Da stellt sich schnell die Frage: weshalb jetzt im Essener Aalto-Theater? Sinnvolle Koproduktionen in allen Ehren – aber sieht so ein überzeugendes Plädoyer für unsere Stadttheaterkultur mit ihrer Vielfalt, Fähigkeit zur Innovation und vor allem eigenem Profil aus? Eher nicht!