WAGNER, GÖTTERDÄMMERUNG, 3. AKT, LEIPZIG, REFORMIERTE KIRCHE, 22.05. 2012, Fritz Rainer Polter
© WAGNER, GÖTTERDÄMMERUNG, 3. AKT, LEIPZIG, REFORMIERTE KIRCHE, 22.05. 2012, Fritz Rainer Polter veröffentlicht auf www.autorenweb.de
WAGNER,
GÖTTERDÄMMERUNG, 3. AKT, LEIPZIG, REFORMIERTE KIRCHE, 22.05. 2012
Was Leipzig für
seinen bedeutendsten Sohn alles nicht tut – dies hat mich so verbittert, dass ich beschlossen hatte, sämtliche Aufführungen im Vorfeld zu Richard Wagners 200. Geburtstag zu ignorieren – allen
voran die konzertanten Ersatzbefriedigungen, die mich erbärmlich und kleinlich angedacht dünkten; verglichen etwa mit jenen szenischen Inszenierungen, die Chemnitz, Halle und Dessau
hervorzaubern. Und wenn ich ihre Ausreden höre, die nichts als Zeugnisse des Unwillens; gepaart mit erbärmlichen Versagen sind, bekomme ich eine solche Wut, dass ich diese nur und gerade noch
lindern kann; indem ich mehrmals die Zeilen „schamloser Albensohn“, - und diese (gerne auch: Zwangs-) Jacke kann sich dann getrost ein jeder der explizit dafür verantwortlichen städtischen Ober-
und event-verhindernden Operversager anziehen -, vor mich hin summe.
Aber nicht davon
will ich berichten. Ein sehr guter Freund, welcher sozusagen „ganz nah dran“ ist an der klassischen Musikszene (dies jedoch nicht nur in Leipzig) – überredete mich, mir wenigstens, nachdem ich
mir bereits die vorangehenden konzertanten Aufführungen habe entgehen lassen, mir den 3. Akt meiner Lieblingsoper schlechthin (diese knapp vor „Das Rheingold“) anzusehen. So begab ich mich denn
in die Evangelisch-reformierte Kirche, offen; jedoch ohne große Erwartungen. Mein Freund Michael hatte hervorragende Plätze in der 5. oder 6. Reihe der Kirchenbänke ausgewählt, welche
selbstredend in der exakten Mitte derselben lagen, sodass wir in einen außergewöhnlichen, audiophilen Genuß der Sache kamen; verfügt doch die Reformierte Kirche über exorbitant gute
Klangeigenschaften.
Wohl dosiert
erschien ihr Hall; und unbegründet unsere Befürchtungen, dass uns derselbe, wie von einigen Bekannten im Vorfeld prognostiziert, weil so nah an den Musikern sitzend, uns die Ohren wegblasen
würde, - perfekt die Aufstellung der Instrumente (des, zugegeben, - natürlich -, verglichen etwa mit einer Bayreuther Aufführung, maximal „abgespeckten“ Orchesters) seitlich von und hinter den
Sängern, welche, bedingt durch die Kleinheit und Enge der Lokalität, unmittelbar vor der 1. Bankreihe positioniert waren. Die reine Nähe zu den Aufführenden betreffend; war dies für alle ein in
seiner Güte wohl einmaliges Ereignis - aber dies ist noch das wenigste, was sich darüber sagen lässt. Der energiegeladene und hervorragende Dirigent David Timm, weiland 1. Präfekt des
Thomanerchores, dirigierte örtlich vor den Sängern, beziehungsweise standen diese hinter ihm; sodass mir deren temporal allesamt richtigen Einsätze manchmal wie ein Wunder
erschienen.
Was wir nun
hörten, erschien mir (und da kann ich wohl auch für Michael sprechen) als ziemlich unerhört; Klang, Kolorit, Akzentuierung, Ausgewogenheit der Instrumente in der Interaktion mit dem Gesang, -
kurz und hervorragend – einfach alles, was wir dem Kirchenraum da abhörten, nahm uns vom ersten Takt des uns wohlbekannten Werkes gleich in den Bann. Wir tauchten ein in eine der besten
Live-Aufführungen, deren Ohrenzeugen wir jemals werden durften. Es war sensationell, fantastisch, überragend, und einfach großartig, was das Team der dort Bewirkenden nach nur zwei, - wie ich
später erfuhr - , Orchesterproben da hervorzauberte.
Allen voran
erwähnen will ich Frau Bernadette Flaitz, welche eine Brünnhilde zelebrierte, transzendierte, wie man sie derzeit auf den Bühnen dieser Welt nur selten findet. Sie beherrschte ihren Part als
einzige auswendig, was sie in die Möglichkeit versetzte, auch ein wenig szenisch zu agieren. Anstatt also vor dem Notenpult Aufstellung zu nehmen, begann die attraktive, ätherische Sopranistin
mit ihrer kräftigen, glockenhellen, raumfüllenden Stimme ihren Einsatz (sich heranpirschend) von der rechten Seite. Es war eine Offenbarung. Sie wirkte entrückt, transzendiert, in anderen Sphären
schwebend; und sang doch so ungeheuer präsent, dass es eine helle Freude war – Metapher und Realität treffen sich also hier. Später erinnerte ich mich: ich „kannte“ sie als überzeugende Gerhilde
unter Zubin Mehta, Valencia, in der Fura dels Baus - Inszenierung. Ihr ein wenig von meiner Begeisterung dankend zu vermitteln, getraute ich mich am Ende der Vorstellung. Sie war sichtlich
erfreut.
Um nicht falsch
verstanden zu werden: Ihre Sache hervorragend gemacht haben einfach alle; auch das, sozusagen, junge und studentische Blech neben erfahrenen Musikern des Leipziger Mendelssohnorchesters,
bestehend auch aus Musikern des Gewandhauses bzw. der Oper; ergänzt durch Männer des Leipziger Universitätschores. Herausstellen möchte ich dennoch Carolin Masur; die Wellgunde des Abends, und
Birger Raude als Gunther, der mit Hagen zumindest mimisch interagierte. In seiner Mimik machte er uns einen finsteren und getriebenen, komplexbeladenen Gunther lebendiger, als so mancher großer
und bejubelter Interpret auf den sogenannten wichtigen Brettern dieser Welt. Das ich Renatus Mészár's Interpretation der Hagen-Figur nicht wirklich estimierte, ist indes nicht dessen Schuld;
sondern allein geschuldet meinem Gusto; meiner privaten Vorstellung von der Hagen-Figur. Auch vergaß er hier und da ein Wort, als Beispiel diene mir „Brände“ bei „Lichte! Lichte! Helle Brände!“.
Unwichtig das; denn das Vergessen im Eifer des Gesanges unterfuhr auch schon einmal einem Matti Salminen.
Der Brünnhilde
beinah gleichwertig war jedoch für mich nur der sensationelle Albrecht Kludszuweit als Siegfried. Obgleich ich solchen Vergleich hasse, muß ich doch sagen, dass ich mich teilweise angenehm an den
von mir über alles geschätzten Wolfgang Windgassen erinnert fühlte. Es war alla bonheur, was wir da von ihm gesanglich vernahmen. Dem entsprechend, orkanartig, gestaltete sich der lange,
begeisterte Applaus, von dem ich sagen kann, dass ich in den Gesichtern der Künstler lesen konnte, dass sie mit dieser Vehemenz der Begeisterung nicht rechneten. Mir naturgemäß, wie Thomas
Bernhard sagen würde, verzichtete ich jedoch auf den abschließenden Umtrunk mit den Künstlern, den zu frequentieren mir wiederum durch meinen Freund Michael möglich gewesen wäre, welchem ich
nochmals für den Abend herzlich danke.