Von Uwe FriedrichDer Dessauer Intendant André Bücker verschiebt Wagners "Siegfried" in das Computerzeitalter und lässt ihn in Baggypants mit Machogehabe durch den Wald tänzeln. Das ist gewagt und gelingt nur zum Teil. Besonders um die Spitzentöne von Siegfried muss man sich sorgen.
Der Dessauer Intendant André Bücker erzählt Richard Wagners "Ring des Nibelungen" vom Ende her, so wie Wagner ihn ursprünglich
entworfen hat. Ausgehend von Siegfrieds Tod merkte er, dass er immer mehr von der Vorgeschichte erzählen wollte, um das Finale plausibel zu machen.
Eher zufällig entfernte er sich dabei immer weiter von seiner Vorlage, dem Nibelungenlied, und schuf schließlich einen neuen
Mythos für das 19. Jahrhundert. Diesen verschiebt Bücker wiederum ins Computerzeitalter des 21. Jahrunderts, indem er den kommenden Superhelden Siegfried als Computer-Nerd mit Schwäche für
Abenteuerspiele zeigt.
In der leicht verwahrlosten Wohnung seines Ziehvaters Mime daddelt er munter vor sich hin, erschrickt den Alten mit der
Projektion eines Bären, während Mime sich mit dem Uraltspiel Tetris abmüht. Wenig später entwirft Siegfried sich mit Hilfe von Designsoftware ein neues Schwert, das er offenbar aus einem modernen
3D-Drucker zieht.
Im zweiten Aufzug tänzelt er mit "Checker"-Gesten und pubertärem Machogehabe durch den wilden Wald, in dem er Fafner erlegen
wird. Vorher hatte bereits der Wanderer seinen ersten Auftritt in einem türkisgrünen Schlafanzug, in dem ein ambitionierter Strippenzieher wie dieser frühere Gott wohl nicht mal im Dunkeln den
Müll runterbringen würde. Auch sonst zeigt sich die Kostümbildnerin Suse Tobisch mit weißen Baggypants für Siegfried oder unabitioniertem Fantasyplunder für Alberich nur bedingt
geschmackssicher.
Anspielungen auf das Triadische Ballett Oskar Schlemmers liegen in der Bauhausstadt Dessau zwar nahe, ergeben in Kombination
mit der ebenfalls zitierten Computerspielästhetik aber weder ein geschlossenes ästhetisches Erscheinungsbild, noch treten sie mit einander in eine produktive Reibung. Der Regisseur André Bücker
verschenkt die gruseligen Momente, in denen Siegfried ganz naiv zum Mörder wird und als wonniges Kind Schäden anrichtet, die er noch nicht überblicken kann. Auch der Moment, in dem er seinen
Großvater auf dem Weg zur ihm versprochenen Frau kaltherzig entmachtet, rauscht seltsam unbeteiligt vorbei.
Generalmusikdirektor Antony Hermus treibt den ersten Aufzug mit straffem Tempo in die Groteske, die er mit Mimes
Allmachtsphantasien zweifellos auch ist, nimmt im zweiten Aufzug das Tempo zurück und gestattet auch sanftere Klangfarben, um schließlich Vorspiel zum dritten Aufzug die Dramatik wieder zu
steigern und beim Zusammentreffen von Siegfried und Brünnhilde erneut aufzudrehen. Die Anhaltische Philharmonie Dessau folgt ihm diszipliniert und wird vom Publikum dafür zu Recht
gefeiert.
Albrecht Kludszuweits Mime ist grandios in Verschlagenheit und Verzweiflung, stets textverständlich (wie ausnahmslos das
gesamte Ensemble) gelingt ihm ein rundum überzeugendes Charakterporträt. Ulf Paulsens Wanderer kämpft mit dem lächerlichen Kostüm, nicht aber mit den vokalen Anforderungen seiner Partie, Angelina
Ruzzafante ist ein zauberhafter Waldvogel, Rita Kampfhammer eine sonore Erda. Iordanka Derilova kann in der letzten Szene als Brünnhilde gar nicht anders als den abgekämpften Siegfried von Peter
Svensson in Grund und Boden zu singen.
Um dessen Spitzentöne musste man sich von Anfang an große Sorgen machen, am Ende des langen Abends röchelte er nur noch.
Siegfried mag das Fürchten kaum gelernt haben am Ende des Abends - der Sänger und das Publikum wissen nun zumindest, was die Angst vor hohen Noten bedeutet.